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Finger weg von Hessens Tafelsilber - NABU: Keine Fällung alter Buchen in europäischen Schutzgebieten
Anlässlich des Tages des Waldes am 21. März hat der NABU Hessen die Aufhebung des Einschlagstopps für alte Buchen in Schutzgebieten scharf verurteilt. Nach dem Auslaufen des Moratoriums der letzten Landesregierung hatte der hessische Landwirtschaftsminister Ingmar Jung die Baumriesen in den bestehenden europäischen Schutzgebieten kürzlich zum Einschlag freigegeben. Ab September muss nun mit der Abholzung gerechnet werden. „Finger weg vom Tafelsilber unserer Wälder! Es gibt keine Notsituation in Hessen, die die Zerstörung unserer wertvollen Schutzgebiete rechtfertigen kann“, fordert Maik Sommerhage, Landesvorsitzender des NABU Hessen. Mit den Holz-Einschlägen würden nicht nur wichtige Lebensräume für die biologische Vielfalt verloren gehen. Auch die Kronenschicht werde so weit aufgerissen, dass die Wälder immer mehr austrockneten. Im nächsten trockenen Sommer komme es dann zum Sterben der Nachbarbäume, beschreibt der NABU den gefährlichen Domino-Effekt. Damit gingen auch wichtige Klimaschutzfunktionen verloren. „Ohne natürlichen Klimaschutz mit dem Wald als effektive Kohlenstoffsenke schaffen wir die Zukunftssicherung nicht“, so Sommerhage.
Geschlossene Wälder für den Klimaschutz
Wichtig ist es nun, so der NABU, vor einem drohenden Holzeinschlag wirkungsvolle Grundsätze zur schonenden Bewirtschaftung von Wäldern in europäischen Schutzgebieten herauszugeben. So sollte das Landwirtschaftsministerium vorgeben, in jedem Schutzgebiet auf mindestens 5 Prozent der Waldfläche gar keine Bäume mehr zu fällen und Naturwald zu entwickeln. Dieses Ziel sei bereits in der Hessischen Biodiversitätsstrategie für den gesamten hessischen Wald formuliert, aber auch dort bislang noch nicht ganz umgesetzt. Für den restlichen Wald in europäischen Schutzgebieten müsse es darüber hinaus zukunftsweisende Regelungen zur Bewirtschaftung geben: „Damit die Wälder nicht austrocknen, sollten immer nur einzelne Bäume entnommen werden, so dass das Kronendach stets zu 70 Prozent geschlossen bleibt“, so Sommerhage. Zudem müsse der Holzbestand auf 80% des natürlichen Vorrats erhöht werden. Geschlossene alte Wälder seien besonders kostbar, weil sie sich selbst vor Austrocknung schützen. Sie könnten in den Schutzgebieten noch 200 Jahre weiterwachsen, Kohlendioxid in Holz und Boden binden und so viel zum natürlichen Klimaschutz beitragen.
Schutz der biologischen Vielfalt
Wälder entwickeln erst in einer späten Altersphase, die es in den üblichen bewirtschafteten Wäldern fast nie gibt, eine hohe Qualität für viele waldtypische Tiere, Pflanzen und Pilze. Schwarzstörche, Rotmilane und Wespenbussarde bauen ihre Horste in große Kronen. Schwarzspechte klopfen Höhlen in die Bäume, die von 60 verschiedenen Nachmietern bezogen werden. Verschiedene Fledermäuse nutzen Baumhöhlen für ihre Wochenstuben zur Jungenaufzucht. „Die geplanten Baumfällungen führen zu akuter Wohnungsnot in den Schutzgebieten“, so Sommerhage. Alte Bäume sind zudem als erfolgreichste, vitalste Bäume Träger wichtiger genetischer Informationen zur Anpassung an den Klimawandel.
„Gerade in den Schutzgebieten sollte der Wald am besten geschützt sein“, erklärt Andrea Pfäfflin, Waldexpertin des NABU. Wenn jetzt sogar die Axt an die Schutzgebiete gelegt werde, sei der sonstige Wald offenbar schon ausgeplündert. Der Landwirtschaftsminister berufe sich in Interviews auf eine angebliche „gesetzlich verankerte Nutzfunktion“ des Waldes. „Es gibt keine Nutzungspflicht für Wälder“ stellt Pfäfflin klar. Das Hessische Waldgesetz schreibe vor, „den Wald als Lebens- und Wirtschaftsraum des Menschen, als Lebensgemeinschaft von Tieren und Pflanzen sowie wegen seiner Wirkungen für den Klimaschutz zu schützen, zu erhalten“. Laut NABU verstoße der Landwirtschaftsminister auch gegen die eigene Richtlinie zur Bewirtschaftung des Staatswaldes (RiBeS). Darin heiße es: „Im Konfliktfall genießen die Biodiversität, der Klimaschutz und die weiteren Schutzziele Vorrang vor den Nutz- und Erholungszielen“. Deutschland, so der NABU, hat eine besondere Verantwortung für seine Buchenwälder, da ihr weltweites Verbreitungsgebiet nur klein ist. Einige Gebiete wie der Nationalpark Kellerwald-Edersee wurden deshalb sogar als UNESCO-Weltnaturerbe ausgezeichnet.
Kaum alte Wälder in Hessen
Insgesamt 21 Prozent des Landes sind europäische Schutzgebiete (Fauna-Flora-Habitat-Gebiete und EU-Vogelschutzgebiete). Der Anteil der bisher geschützten über 100jährigen Buchenwälder darin beträgt nur 14.456 Hektar. Da der hessische Wald fast 900.000 Hektar groß ist, entspricht das lediglich 1,6 %. In der neuen Koalitionsvereinbarung hat die Landesregierung angekündigt, sie halte „die Mobilisierung der … Holzvorräte (für) erforderlich“ und sie lege Wert auf die „Rohstoffversorgung der hessischen Sägewerke“. Die alten Buchen in den Schutzgebieten sind seit drei Jahren vor dem Einschlag geschützt. Anlass waren die trockenen Sommer, in denen viele Bäume Schäden erlitten. Auch wenn es im Winter viel geregnet hat, geht es den Bäumen noch nicht besser, betont der NABU. Dies zeige der aktuelle Waldzustandsbericht vom November 2023. Die Schutzziele, also der Walderhalt, müssten deshalb Vorrang vor der Holznutzung haben. Ein lebendiger Erholungswald mit beeindruckenden Baumriesen sei in Hitzesommern für die Menschen wertvoller als Brennholz. Denn Laubholz werde in Deutschland derzeit zu 70 Prozent gleich verbrannt, so der NABU.